F. Hitz: Fürsten, Vögte und Gemeinden

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Titel
Fürsten, Vögte und Gemeinden. Politische Kultur zwischen Habsburg und Graubünden im 15. bis 17. Jahrhundert


Autor(en)
Hitz, Florian
Erschienen
Baden 2012: hier + jetzt, Verlag für Kultur und Geschichte
Anzahl Seiten
660 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Simona Boscani Leoni

Das umfangreiche Buch von Florian Hitz stellt die Ergebnisse seiner im Jahre 2010 an der Universität Heidelberg angenommenen Dissertation vor, die von Thomas Maissen betreut wurde. Sein Forschungsthema war die politische Kultur und die Entwicklung der herrschaftlich-staatlichen Verhältnisse am Beispiel einer alpinen Region, der Acht Gerichte im heutigen Kanton Graubünden. Die Zeitspanne der Untersuchung umfasst eine strategische Phase der Geschichte dieser Gebiete, und zwar die Zeit zwischen der Entstehung der Landvogtei Castels als Kern des österreichischen Verwaltungsbezirks im Zehngerichtebund, die 1499 unter König Maximilian I. von Habsburg nach dem Ende des Schwabenkrieges zustande kam, und 1649, als die Gemeinden die landesherrlichen Rechte ankauften. Durch die Mitgliedschaft im Zehngerichtebund waren die Acht Gerichte gleichzeitig mit dem Grauen Bund und dem Gotteshausbund verbunden und bildeten zusammen mit diesen den Freistaat Gemeiner Drei Bünde.

Die Analyse des Autors erfolgt auf drei unterschiedlichen Ebenen. Auf der ersten Ebene werden die Phasen der Durchsetzung, wie auch der Krise, der österreichischen Landesherrschaft analysiert; auf der zweiten Ebene fokussiert die Forschung auf die Leitfragen und Ansätze der Klientelismus-Forschung und zieht die formellen und besonders die informellen Beziehungsgeflechte der Eliten in den Gemeinden in Betrachtung. Die dritte Ebene der Analyse betrifft die politische Kultur, ihre Symbolsysteme (Sprechhandlungen wie auch materielle und symbolische Repräsentationen), die eine zentrale Rolle bei der Gestaltung des politischen Lebens spielten, wie die Arbeiten von Thomas Maissen über den Republikanismus in der Alten Eidgenossenschaft und von Randolph C. Head über die politischen Sprachen im frühneuzeitlichen Graubünden gezeigt haben.

In seinem Werk setzt sich Hitz mit den neuesten Ansätzen und Theorien auseinander, die in den letzten Jahren die Interpretation der Staatsbildung «von oben» kritisch nachgefragt und stark revidiert haben. Er hebt die Notwendigkeit hervor, die Perspektive der «Staatsbildung von unten» (Statebuilding from below) im Prozess der Entwicklung des frühneuzeitlichen Staats zu berücksichtigen. Dieser Perspektivenwechsel wurde insbesondere von Peter Blickle vorangetrieben (man denke an seine Arbeiten zum Kommunalismus), von André Holenstein (der von «empowering interactions» spricht, d. h. von der Rolle der Interaktionen zwischen zentraler Macht und lokalen Gruppen, Gemeinden) und von Jon Mathieu (der in seinen Forschungen den Akzent auf die kulturellen und sozialen Praktiken setzt).

Die Veröffentlichung ist in vier Teile gegliedert. Sich auf einer mikrohistorischen Ebene bewegend, erklärt der erste Teil («Territorialmächte und Staatsgebilde») die politische Rolle, die den Acht Gerichten im österreichischen Territorialkomplex zukommt sowie ihre Zugehörigkeit, auch kulturell, zu Vorderösterreich. Daneben wurden auch die Beziehungen zum Zehngerichtebund und den Drei Bünden untersucht. Im zweiten Teil, der den Titel «Verwaltungsorganisation und -praxis» trägt, wird die Organisation der Ämter und der Finanzen der Landvogtei Castels den Strukturen der österreichischen Territorialverwaltung gegenübergestellt. In diesem Kontext geht der Autor auf die Frage nach der österreichischen Klientel in den Acht Gerichten ein. Unter dem Titel «Hoheitsrechte und Herrschaftsträger» stellt der dritte Teil die Zuteilung der Herrschaftskompetenzen nach Gewaltträgern dar. Schliesslich werden die politische Kommunikation, die politische Kultur und das politische Verständnis gründlich erforscht.

In seiner Arbeit hat Florian Hitz alle möglichen (handschriftlichen und gedruckten) Quellen in Betracht gezogen, die zur Geschichte dieser Region zur Verfügung stehen: Dies hat ihm erlaubt, die Chronologie, die Struktur und die Organisation der österreichischen Herrschaft in den Drei Bünden genauer festzulegen, wie die Präzisierung des Zeitpunkts der Entstehung der Landvogtei Castels zum Beispiel zeigt (S. 217). Andererseits konnte er hervorheben, wie der Rückgriff der Acht Gerichte auf alte Rechte, der seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts immer häufiger wurde, zeitgemäss war. Was die Anwendbarkeit der «Staatsbildung von unten»-Theorie und besonders des «empowering-interactions»-Modells betrifft, antwortet der Autor mit Sorgfalt und Umsicht (S. 638–640). Wenn das «empowering-interactions»-Modell der «Interaktion zwischen ‘unten’ und ‘oben’ eine staatsbildende Wirkung zuschreibt» (S. 639), dann passt das Beispiel von Castels zu diesem Schema nicht, da «in der politischen Kultur der Acht Gerichte […] die fraglichen Interaktionen keine Stabilität und keine echte Gegenseitigkeit der Beziehungen» [stifteten] (S. 639).

Die Frage nach der «Staatsbildung von unten» wird also mit der Notwendigkeit einer Differenzierung des Begriffs beantwortet. Im Fall des Zehngerichtebunds, wie der Acht Gerichte, spricht Hitz von einer «kommunal-bündischen Staatsbildung», und bemerkt: «Als die Habsburger 1649 ihren faktisch längst er ledigten Anspruch ‘von oben’ in den Acht Gerichten aufgaben, blieb hier kein staatliches Vakuum zurück» (S. 640).

Ein nicht fachfremder Leser wird im Buch teilweise vermissen, dass der Autor auf eine tiefere Auseinandersetzung mit den Theorien und den Ansätzen verzichtet, die in der Einleitung kurz angedeutet werden. Bedauerlicherweise fehlt auch ein Verzeichnis der Personen und Orte.

Trotz dieser Bemerkungen, die die Qualität des Werks nicht vermindern, erfüllt das Buch von Florian Hitz zweifellos die Ziele, die es sich gesetzt hatte: Es handelt sich um eine klare, quellenfundierte, mikrohistorische Analyse der Staatsbildung und der politischen Kultur einer alpinen Region in der Frühen Neuzeit und hat den zusätzlichen Vorteil, auch für Laien sehr gut lesbar zu sein.

Zitierweise:
Simona Boscani Leoni: Rezension zu: Florian Hitz: Fürsten, Vögte und Gemeinden. Politische Kultur zwischen Habsburg und Graubünden im 15. bis 17. Jahrhundert. Baden, hier + jetzt, 2012. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 64 Nr. 1, 2014, S. 152-154.

Redaktion
Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 64 Nr. 1, 2014, S. 152-154.

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